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Glückliche Momente

von Mario Haßler, 06.09.2016 - 22:01 – Spielbericht · Einzel

Jeder kennt ihn: den glücklichen Moment, in dem man das Spiel herumreißen kann, wenn man sich stabilisiert und etwas aufbauen kann, wenn man den Spieß umdrehen kann und von nun an den Gegner in Bedrängnis bringt – und im besten Fall am Ende das Spiel gewinnt. Es gibt auch andere glückliche Momente, zum Beispiel eine wunderschöne Starthand, die die Geschichte erzählt, wie die ersten zwei bis vier Züge wohl aussehen werden, wie ein Märchen aus der Zukunft, das wahr werden wird.

Als ich neulich abends gegen meinen Freund Michael spielte – via Cockatrice, weil gute 200 km zwischen uns liegen – hatte ich gleich mehrere solche glücklichen Momente. Dazu muss man sagen, dass wir virtuell die gleichen Decks spielen, die wir auch in echt haben. Es hätte also genauso gut beim Spiel am berühmten Küchentisch passieren können.

Aber der Reihe nach. Die Arbeit und familiäre Verpflichtungen geben den zeitlichen Rahmen vor: mehr als eine Stunde wird diesmal nicht drin sein. In der Zeit schaffen wir drei Spiele.

Erstes Spiel

Für das erste Spiel wünsche ich mir Kommandeur als Format, um mein Deck rund um Prossh, Himmelsjäger von Kher, dem ich gerade den letzten Feinschliff verpasse, ein weiteres Mal zu testen. Meine Starthand enthält eine Kreatur und sechs Manaquellen, und ich behalte sie trotzdem. Denn da ist es, das Märchen von den ersten Zügen dieses Spiels: Sumpf und Sonnenring in Zug eins, Chromatische Laterne und Gruulgrund (im Austausch gegen den Sumpf) in Zug zwei, und damit hätte ich, zusammen mit dem Sumpf, im dritten Zug bereits das Mana, um meinen Kommandeur auszuspielen. Doch ich will noch eine Schippe drauflegen, spiele erst Endrek Sahr, Meisterzüchter, um im nächsten Zug nicht nur Prossh mit seinen sechs 0/1 Kobolden zu bekommen, sondern auch noch sechs 1/1 Thrulls. Doch Michael, der einen ganz gewöhnlichen Start hatte und somit in meinem dritten Zug erst zwei Mana zur Verfügung hat (ich war der Startspieler), antwortet mit Unterbinden für X=1. Und ich muss feststellen, dass ich vor lauter Übermut vergessen habe, erst das Land auszuspielen – und so geht Endrek Sahr baden.

Das war kein glücklicher Moment, aber es soll schon noch mehr als einer kommen. Meine Hand besteht aus lauter Ländern, was mein Gegner freilich nicht weiß, aber mir bleibt ja noch Prossh, den ich aus der Kommandozone spielen kann. Michael kann dann seinen Kommandeur, den Geist von Sankt Traft in Stellung bringen, und weil ich meinen Kommandeur in den Angriff schicke, tut er das mit seinem auch. Dann kann Michael mir Prossh auf die Hand zurück schicken, was zunächst mal bedeutet, dass er weiter punkten kann. Das ist auch nicht ohne, weil Emerias Engel ihm weitere Flieger beschert und der Geist von Sankt Traft ja auch immer einen 4/4 Engel mitbringt. Doch ich habe Glück beim Ziehen und komme so an den Elfen-Himmelfeger, der zuallererst Emerias Engel abschießt. Nicht genug damit, es folgt auch noch Purphoros, Gott der Schmiede, und das freut mich nicht nur, weil das eine der Karten ist, die erst einen Tag vorher ins Deck gewandert sind, sondern weil ich damit natürlich den nächsten Auftritt meines Kommandeurs prächtig vorbereiten kann. Der Gott kommt und darf bleiben, im folgenden Zug erscheint dann Prossh mit sechs neuen Kobolden, und die Lebenspunkte meines Gegners rutschen eben mal um 14 Zähler nach unten. Er wertet dann seine Kreaturen mit dem Vasall von Distelwollheim auf, aber in meinem nächsten Zug habe ich eine Übermacht an angriffswilligen Kreaturen und genug Mana, um Purphoros' Fähigkeit viermal zu aktivieren – das ist Michaels Ende.

Zweites Spiel

Wir wechseln zum gewöhnlichen Spiel mit 60-Karten-Decks. Ich greife zu meinem Meervolk-Deck "Tief ist das Meer" und beginne mit Ländern, die getappt ins Spiel kommen: Sejiri-Refugium, dann Geflutete Ebene. Letztere tausche ich gegen eine Insel ein, bringe den Handel der Merrow ins Spiel und gebe den Zug ab – und bemerke mit Entsetzen, dass ich vergessen habe, ein Land auszuspielen. Das hole ich also im nächsten Zug nach, es ist eine Einsame Sandbank, die getappt ins Spiel kommt, also kann ich noch nicht wie geplant den Geheimnisversenker ausspielen, sondern nur einen weiteren Handel der Merrow. In der Zeit hat Michael seine Manabasis mit einer Überwachsenen Festungsmauer und Wolkenposten ausgebaut und kann nun schon Ernte und säe mit Verflechtung spielen, wodurch ich eins der kostbaren Länder einbüße. Immerhin ziehe ich ein weiteres Sejiri-Refugium nach, was mir zwar einen Lebenspunkt bringt, aber ebenfalls getappt ins Spiel kommt, sodass ich immer noch nichts Gescheites ausspielen kann.

Ganz anders Michael: Hier kommt Der Koloss von Akros und macht mächtig Eindruck, denn die zehn Mana, die aus ihm einen angriffslustigen 20/20-Trampler machen, stehen im nächsten Zug garantiert zur Verfügung. Dagegen lege ich nur meinen Geheimnisversenker, der zusammen mit den Handeln der Merrow meinen Gegner einige Karten mühlen lässt. In Michaels nächstem Zug greift mich der Koloss wie erwartet an, und ich habe es nur den beiden Sejiri-Refugien zu verdanken (die in der aktuell veröffentlichten Deckliste noch nicht mal enthalten sind), dass ich diese Attacke überlebe, ohne blocken zu müssen. Denn die Karte, die mich aus dieser Nummer wieder rausbringen kann, habe ich schon auf der Hand. Alles, was ich brauche, ist ein Land, das ungetappt ins Spiel kommt. Mein Zug, ich enttappe, ziehe: eine Ebene! Spiele sie aus, dann die Opposition. Dank der Handel der Merrow kann ich Michael noch ein bisschen mühlen lassen, dann tappe ich in seinem Zug meinen Geheimnisversenker, um den Koloss von Akros vom Angreifen abzuhalten. Zwar kann mein Gegner den Geheimnisversenker mit einer Feuerfontäne vernichten, aber ich kann in meinem nächsten Zug einen neuen Geheimnisversenker ausspielen. Der wird dann von einem Wilden Wirbelwind zerstört, dafür kommt ein Merromerit. Nun kann ich also nicht mehr mühlen, dafür aber Karten ziehen, und das gewinnt ja bekanntlich Spiele. Und so ist es auch hier: Irgendwann kommt ein Steinbach-Schulmeister dazu, dann auch noch ein zweiter, und mit dem Strömungsbeurteiler schießen dann auch meine Lebenspunkte in großen Schritten wieder in die Höhe. Den Handel der Merrow habe ich auf drei Exemplare aufgestockt, und mittlerweile habe ich so viele Meervolk-Spielsteine, dass ich sogar angreifen kann. Da die Opposition auch Länder tappen lässt, kann ich Michaels Mananachschub gänzlich lahmlegen, und dann ziehe ich einen neuen Geheimnisversenker, der auch noch die gegnerische Bibliothek leert und mich so das Spiel gewinnen lässt.

Drittes Spiel

Auch im dritten Spiel kommt das Glück erst nach einer gewissen Durststrecke. Ich habe mein Engel-Deck "Himmlische Begleiter" gewählt, und es verwehrt mir sowohl die Manabeschleunigung (Gedankenstein) als auch die Lebenspunkte-Spender (Heiligtum der Seraphe). So kann Michael mit Bolas' Augur punkten, und bald schon kommt der Geheimnisstöberer dazu. Ich bin immerhin auf einen Manaschatz gestoßen, der mir hilft, Belbes Portal zu errichten, und mit dessen Hilfe kann ich in den folgenden Runden immer wieder einen Engel ins Spiel mogeln. Den Anfang macht der Blendende Engel, der die Insekten-Scheußlichkeit totblocken soll, aber Michael schickt ihn mir mit einem Spontanzauber wieder auf meine Hand. Nächste Runde läuft ganz ähnlich, dann darf ich endlich den Engel behalten. An Angreifen ist aber nicht zu denken, da Michael mittlerweile Talrand den Himmelsbeschwörer verpflichtet hat, der weitere 2/2 Flieger ausspuckt. Dafür habe ich mit dem Urtümlichen Engel einen sehr soliden Blocker, und so entsteht eine gewisse Pattsituation. Ich muss jede Runde das Mana aus meinen Ländern aufwenden, um den Manaschatz zu enttappen, denn meine Lebenspunkte sind schon ziemlich im Keller. Und den Manaschatz tappe ich, um mit Belbes Portal den nächsten Engel ins Rennen zu schicken. Avacyns Schriftrolle sorgt dabei immerhin einmal für den Kartennachschub und auch für eine Verbesserung bei den Lebenspunkten.

Doch irgendwann ist es so weit: Michael hat mit mehreren Zaubersprüchen, zum Teil mit Rückblende wie beim Treulosen Plündern oder beim Gründlichen Überdenken, seine Sceada-Armee so weit ausgebaut, dass er den finalen Schritt wagt: Angriff mit allem. Ich bin bei sechs Lebenspunkten, und selbst wenn man den zusätzlichen Blocker mit einrechnet, den ich mit dem Portal spontan ins Spiel huschen lassen kann, kommen immer noch vier 2/2-Kreaturen durch, die mir den Garaus machen. Allerdings erlebe ich wieder einen glücklichen Moment, denn dieser eine Blocker, der auf diese Weise kommt, ist der Engel der Errettung! Der wird seinem Namen überaus gerecht, denn statt acht Schaden bekomme ich mit seiner Hilfe nur drei ab, und im Gegenzug können meine Engel über die getappte Armee meines Gegners hinwegfliegen und ihm tödlichen Schaden zufügen. Und somit geht auch dieses Spiel mit viel Glück an mich.

Das Glück des einen ist das Pech des anderen, daher: sorry, Michael! Kleiner Trost: Es hätte in allen drei Spielen auch völlig anders laufen können!


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